Spirituelle Entwicklungschancen in der Partnerschaft

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Spirituelle Entwicklungschancen in der Partnerschaft

„Es ist besser, geliebt und gelitten zu haben, als nie ein Liebender gewesen zu sein.“
Lama Govinda

Wenn man ernsthaft praktiziert, kommt man früher oder später an der Frage vorbei: wie steht es mit meiner Partnerschaft, ist sie förderlich oder hinderlich für den spirituellen Entwicklungsweg? Es kann auch die Angst aufkommen, den Partner zu verlieren, weil er oder sie andere Interessen hat und ein Entfremdungsprozess einsetzt. Oder es entstehen Aggressionen, weil der Partner immer wieder negative Verhaltensmuster aktiviert, die man schon überwunden glaubte. Aber auch Menschen, die alleine leben, fragen sich nach einer Weile des Praktizierens, ob sie sich nicht sozial isolieren und wertvolle Freundschaften verlieren. Umgekehrt gibt es, auch wenn Partner in derselben Richtung buddhistisch praktizieren, keine Garantie dafür, dass die Verbindung hält.

Als Leiterin eines Meditationszentrums sind mir diese Fragen vertraut, ich finde sie normal und wichtig. Auf meinem persönlichen Weg habe ich mich auch damit auseinandersetzen müssen. Da ich über zwei Jahrzehnte hinweg intensiv praktiziere und nicht Nonne bin, kenne ich die verschiedensten Zustände der Liebesbeziehung aus eigener Erfahrung: verliebt, verlobt, verheiratet, getrennt, geschieden, - lebe ich heute zwar alleine aber bezogener den je. Die Herausforderungen, achtsam in Beziehung zu sein, sind dieselben geblieben und die Freuden und Leiden der Paardynamik können sich auch in Freundschaften jederzeit wieder einspielen.

Was ist Paarbeziehung und was passiert mit der Liebe, wenn zwei Menschen länger als Paar zusammenleben? Das will ich im Folgenden untersuchen. Es kann helfen, sich nicht mehr als Opfer einer scheinbar unverständlichen Eigendynamik zu erleben, sondern ihre tiefere, innere Logik zu verstehen. Nur so können die Entwicklungschancen, die in dieser Lebensform liegen, bewusst wahrgenommen werden. Nichts geschieht einfach zufällig, sondern alles hat seine innewohnenden Gesetzmässigkeiten – lehrt der Buddha - so auch die Veränderungen in unseren Paarbeziehungen. Um diese zu erfassen, muss man genau hinschauen: Wie und warum bilden sich eigentliche Paare?

Die Paarbildung beruht auf dem Prinzip der Ähnlichkeit. Was ähnlich ist, zieht sich an. Menschen finden sich, verlieben sich und wählen einander als Partner, weil sie sich gegenseitig erkennen. Das ist keine äussere oder oberflächliche Ähnlichkeit, sondern eine tiefe zunächst unerklärliche Empfindung, einander zu verstehen, zueinander zu passen und füreinander bestimmt zu sein. Die Verständigung geschieht müheloser als mit anderen auch ohne viele Worte. Jeder gibt mit Liebe und Freude, das was er kann, und lässt die Unstimmigkeiten erst einmal beiseite. Die Erfahrung des Glücks der Übereinstimmung oder wechselseitigen Ergänzung ist so stark, dass sie alles andere in den Schatten stellt. Die Quadratur des Kreises scheint gelungen. Im Vertrauen auf diese Möglichkeiten entwickelt das Paar gemeinsame Ziele und Interessen und riskiert es vielleicht, den Bund fürs Leben zu schliessen.

In den Märchenbüchern hört hier die Geschichte mit der Salomonischen Formel :“und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute“ auf. In der Realität beginnt aber früher oder später nach dem Höhepunkt des Glücks der Abstieg und weil es dafür keine Anleitung gibt, endet die Liebe nicht selten mit dem Tod der Paarbeziehung und führt nicht in eine Transformation. Das ist traurig und beängstigend zugleich und löst in der Regel eine Reihe von Gegenmassnahmen und Rettungsversuchen aus. Sie wären wirkungsvoller, wenn sich das Paar dem stellen könnte, was tatsächlich passiert.

Und was passiert eigentlich? Die Partnerwahl aufgrund unerklärlicher Anziehung hat ihre Rückseite. Es sind eben nicht nur die hellen Seiten des Paares ähnlich, sondern auch die dunklen. Wenn Interessen, Wünsche, Lebensmotive, Eigenschaften, Einstellungen und Verhaltensweisen zweier Menschen zueinander passen, dann auch die Erfahrungen, aus denen heraus sie geboren und entwickelt wurden. Partner wählen einander- das ist zunächst unbewusst- auch aufgrund ähnlicher Verletzungen und existenzieller Grundschmerzen. Sie sind anfangs fasziniert von den Überlebenstechniken, die der jeweils andere entwickelt hat, und erhoffen sich davon auch für sich neue Möglichkeiten. Die unerklärliche Anziehung hat ja zumeist hierin ihren Grund: in der beglückenden Erfahrung tiefer seelischer Übereinstimmung und der darauf gegründeten Hoffnung, einander durch die Liebe heilen zu können.

Das geht auch eine Weile gut, doch dann sind tiefere Entwicklungsprozesse angesagt. Ob sich das Paar diesen stellen kann, ist entscheidend für seinen Fortbestand. Was das heissen kann, möchte ich an einem Beispiel erläutern. Ich nenne die beiden Hans und Lene, die eines Tages in meine Beratungspraxis kamen, und um professionelle Hilfe in ihrer Ehekrise baten. Sie seien mit ihren Möglichkeiten am Ende. Die Ausweglosigkeit hatte sich bei beiden auch körperlich gezeigt: bei ihr erkrankte die Lunge, bei ihm der Rücken. Das Leiden hatte beide zum Nachdenken gebracht, sodass jeder für sich eine Einzeltherapie begonnen hatte. Daran konnten wir nun anknüpfen. Lene schilderte wie ihr durch die Krankheit zu Bewusstsein gekommen sei, dass sie in den Jahren ihrer Beziehung nicht nur für sich, sondern auch für ihn mitgelebt habe, um seine Unlebendigkeit auszugleichen. Jetzt sei sie ausgebrannt und könne nichts mehr geben. Hans war durch sein Leiden klar geworden, dass er gar nicht lebendig sein durfte und lediglich im Funktionieren eine Daseinsberechtigung hatte. So wie beide ihre Geschichte schildern, fällt mir beim Zuhören auf, wie sehr Lene sich auch aktuell noch um ihn sorgt und seine Perspektive übernimmt. Hans scheint von dieser Zuwendung in keiner Weise berührt zu sein, obwohl er grosse Angst vor einer Trennung äussert. Er wirkt auf mich kalt und abweisend. An dieser Widersprüchlichkeit ansetzend, beginnen wir mit dem Ergründen der tieferen Motive.

Folgendes wird offenbar: Hans hatte eine überfürsorgliche Mutter, für die er genauso funktionieren musste, wie sie es vorsah. Er kam als eigenes Wesen mit eigenen Gedanken und Gefühlen nicht vor. Seine Lebendigkeit war aus der Beziehung ausgeschlossen. Er machte es der Mutter recht, wenn er sich äusserlich anpasste und keine Emotionen darüber erkennen liess. Er hatte in seiner Ursprungsfamilie einen paradoxen Liebesbegriff gelernt: Beziehung gibt es für mich nur, wenn es mich nicht gibt. Er verhält sich in der aktuellen Situation also seiner Prägung entsprechend richtig: er nimmt hin, was seine Partnerin für ihn meint, ohne ihr Resonanz zu geben oder etwas Eigenes zu zeigen. Dadurch wirkt er so kalt und unlebendig.

Lene ist in ihrer Ursprungsfamilie komplementär geprägt worden. Bei Spannungen im Familienklima zog sich der Vater in eisiges Schweigen zurück . Es war seine Form, zu bestrafen und Ansprüche geltend zu machen, wenn die Dinge nicht so liefen, wie er es wollte. Darunter litten seine Frau und die Kinder. Lene erhielt dann regelmässig von der Mutter den Auftrag, den Vater wieder zum Reden zu bringen. Das gelang ihr auch. Sie musste also im Dienste der Mutter ihre eigene Lebendigkeit dem Vater zur Verfügung stellen. Das hatte sie als Grundregel verinnerlicht, so durfte sie leben und lieben und zu diesem Preis durfte sie an Beziehungen teilhaben. Sie erlitt die Eifersucht der Mutter und sexuellen Missbrauch durch den Vater. Auch sie verhält sich also ihrem gelernten Liebesbegriff entsprechend korrekt als sie im aktuellen Paargespräch nicht an sich, sondern zuerst daran denkt, wie schlimm eine Trennung für ihren Mann wäre.

Wenn wir jetzt beides zusammensehen, wird deutlich, wie genau die gelernten Beziehungsmuster zu einander passen und wie tragisch sie einander ergänzen und herausfordern, sodass jeder in seiner Rolle fixiert bleibt. Jeder tut das, was ursprünglich als Liebesleistung von ihm verlangt worden war - meint es also gut mit dem anderen - und gleichzeitig fügen die Partner einander erneut die alten Verletzungen zu. Als ob zwei Ketten mit einem automatischen Schnappschloss versehen seien. Das macht ohnmächtig, verzweifelt und aggressiv und die Trennungsabsichten der beiden werden nachvollziehbar. Wir spüren aber auch, welcher Grundschmerz bei aller Verschiedenheit die Partner in der Tiefe verbindet: beide hatten kein Recht auf eine eigene Existenzweise, sie wurden nie um ihrer selbst willen geliebt, sondern für die Zwecke von Vater oder Mutter missbraucht und im Eigenen vernichtet.

Es ist eine Gesetzmässigkeit, dass wir von unseren Eltern die Liebe lernen. Sie sind nun einmal unsere ersten Liebes- und Beziehungspartner und geben uns das weiter, was sie selbst gelernt haben. Ein kleines Kind kann ohne seine Eltern nicht leben und wird alles lernen, was zu tun ist, um an die lebensnotwendige Zuwendung zu kommen. Das prägt unser Erleben und unser Verhalten in emotional abhängigen Beziehungen für das ganze Leben, auch wenn später noch andere Möglichkeiten dazu gelernt werden. Es ist sozusagen unser implizites Beziehungswissen, das besonders dann abgerufen wird, wenn die Verliebtheit in einer Partnerschaft vorbei ist und existenzielle Schwierigkeiten auftauchen. Dann werden die Überlebensgrundmuster aktiviert und es wird immer schlimmer statt besser. In dieser Phase kam das Paar in meine Beratung.

Ohne Kinder hätten sie sich vielleicht getrennt, wie viele es tun, die dann das Heil in einer neuen Partnerschaft suchen. - Es nützt nichts, da die Partnerwahl auf seelischer, buddhistisch ausgedrückt, karmischer Verwandtschaft beruht, landet man früher oder später mit dem neuen Partner am selben Punkt. Stattdessen möchte ich hier Mut machen, die Entwicklungschancen zu nutzen, die in der Paardynamik liegen. Die Liebesverletzungen und die Grenzen des eigenen Liebesvermögens werden erfahren und so offenbar. Und hierin liegt die spirituelle Herausforderung, eine tiefere Liebe zu entwickeln und einander tatsächlich noch durch die Liebe zu heilen.

Der erste Schritt dazu ist, einander nicht mehr zu benutzen, um die Grundschmerzen abzuwehren. Denn so funktionieren stillschweigend die meisten Beziehungen: Wenn Du es mir ersparst, dass ich meinem Leiden begegnen muss, dann liebe ich Dich. Insofern hatte die oben geschilderte Rollenverteilung zwischen Hans und Lene auch ihren stabilisierenden Nutzen für beide. Jeder konnte das weiterleben und anwenden, was er gelernt hatte, und sich dabei gebraucht fühlen. Das ist auf die Dauer keine Lösung. Dann wird die Paardynamik zu einem Hindernis für die spirituelle Entwicklung und das Leiden wiederholt. Die Lösung ist, sich diesen Grundschmerzen zuzuwenden. Liebevolles
Gewahrsein und Wahrhaftigkeit mit sich selbst sind erforderlich, um sie ins Bewusstsein zu holen. In einem zweiten Schritt können sich die Partner einander mitteilen und sich in gegenseitigem Verstehen und Mitfühlen üben. Das wird nur gelingen, wenn jeder Versuch, den anderen für die Ursachen oder die Lösung verantwortlich zu machen, unterbleibt und jeder ganz für sich selbst einsteht. In einem dritten Schritt könnte das Paar zu einem neuen Sinn und einem neuen Ziel des Zusammenlebens finden: Wie können wir unsere Verletzungen und Begrenzungen bewusst in die Liebe einbeziehen. Wie können wir - statt uns gegenseitig in lebensfeindliche Muster hineinzuzwingen – zusammenarbeiten, um uns daraus zu befreien.

© Ute Volmerg, alle Rechte vorbehalten

Autor/Autorin des Textes: 
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