Freiheit und Gelübde, Zuflucht nehmen

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Freiheit und Gelübde, Zuflucht nehmen

Gelübde binden

Gelübde spielen auf dem buddhistischen Weg der Geistesschulung eine grosse Rolle.
Wenn man die Lehre des Buddha selber für wahr erkannt hat, kann man in einem Ritual das Zufluchtsgelübde nehmen.
Wir geben uns selbst das Versprechen, Glück nicht mehr in vergänglichen Äusserlichkeiten zu suchen, sondern uns konsequent um die unbedingte innere Quelle des Glücks zu bemühen, die unsere eigene Buddhanatur ist. Dazu gehen wir den Weg der buddhistischen Geistesschulung. Das Bodhisattvagelübde besteht kurz gesagt darin, das auf diesem Weg erreichte, mit allen Wesen zu teilen.

Buddhistische Gelübde sollen uns nicht knebeln oder fesseln, sie sind auch nicht der Eintritt in eine buddhistische Kirche, sondern sollen uns auf unserem Befreiungsweg unterstützen. Natürlich reagieren wir auf diese Mittel mit den Assoziationen aus unserem Kulturkreis und mit den Erfahrungen aus unserem persönlichen Leben. Das löst ambivalente Gefühle aus. Was kennen wir an Gelübden? Das Beichtgelübde, das Ehegelübde, das Keuschheitsgelübde. An keinem der in unserem Kulturkreis vorkommenden Gelübde haftet der Geruch der Freiheit, im Gegenteil, Gelübde sollen binden.

Dualistischer Freiheitsbegriff

Der spirituelle Befreiungsprozess kann nur dann wirken, wenn wir uns ernst nehmen und da anknüpfen, wo wir stehen, um die Hindernisse, die wir erkannt haben, aufzulösen.
Dann erst können wir aufnehmen, wie es wirklich gemeint ist. Was sind diese Hindernisse? Unsere Gedanken und Gefühle. Wir interpretieren Gelübde nach den Vorgaben unseres dualistischen Bewusstseins – das kann nicht anders sein – und das macht uns leidend. Was sehen wir so: Eine Forderung, die von aussen an uns herangetragen wird, wir sollen etwas tun und wenn wir das nicht tun, bleiben wir aussen vor. Dagegen wehrt sich das Ego, denn hier scheint es um Macht und um Unterordnung zu gehen. Das Ego ist unsere bewährte Überlebensstrategie, es fühlt sich als Retter und Bewahrer unserer individuellen Freiheit, für die wir so lange gekämpft und gelitten haben. Es hat sich eingerichtet mit dem Unvermeidlichen und seine kleinen Fluchten und Kompensationen gefunden. Fernsehen, Gutes Essen, Wein, Hobbys, Sex, Reisen, Abenteuer, Unterhaltung, Anerkennung, Ruhm und Geld, Konsum und Besitz. Sollen wir diese bisherigen Zufluchten aufgeben, wenn wir Zuflucht zum Buddha nehmen? Das würde ja bedeuten, dass ich meine schwer errungenen Freiräume nicht mehr so füllen kann, wie ich es möchte; dass nicht mehr Ich über meine Freiheit verfüge. Hier spricht das Ego. Ein zweites Argument hält das Ego bereit: ich will mich nicht auch noch in meiner Freizeit damit unter Druck setzen, dass ich meditieren muss und ein schlechtes Gewissen haben, weil ich ein Gelübde abgelegt habe. Anstrengung und Druck erlebe ich sonst schon genug.

Dieses Ego nehmen wir jetzt innerlich an die Hand und erkennen es in seiner Angst an. Das Ego hat Angst vor Überforderung und moralischem Druck und interpretiert Freiheit als Verfügungsmacht.
Können wir das verstehen und können wir Mitgefühl mit uns haben? Wenn ja, kann der Prozess weitergehen, wenn nein, bleiben wir stecken. Der nächste Schritt ist die geduldige Untersuchung und Überprüfung unserer Vorannahmen. Buddha nannte das Wahrheitsergründung. Wir haben Angst unsere Freiheit zu verlieren, wenn wir ein buddhistisches Gelübde auf uns nehmen. Stimmt das? Wie frei sind wir überhaupt?

Eigene Erfahrung

Als ich mir in meinem eigenen Prozess diese Frage stellte, musste ich erkennen, dass meine Freiheit nur darin bestand, mich nicht zu binden. Ich wollte frei sein für das, was eventuell auf mich zukommen könnte. Diese Freiheit war nur negativ definiert. Es war schmerzlich zu erkennen, dass das Offenhalten aller Potentialitäten nur dahin führte, dass ich letztendlich von aussen bestimmt wurde: Durch Ereignisse, durch die Erwartungen anderer, durch Aufgaben, die an mich herangetragen wurden. Ich war froh und stolz all diesem entsprechen zu können, weil ich so frei und flexibel war. Mir fiel gar nicht auf, dass ich nicht mein Leben lebte, sondern mich damit identifiziert hatte, die Erwartungen anderer bestmöglich zu erfüllen.

Recht auf spirituelles Leben

So kann ich heute rückblickend sagen, dass ich mich nicht binden konnte, weil ich schon gebunden war, nämlich an das Gebot mich zur freien Verfügung zu halten. Entsprechend brisant fühlte es sich an, das Zufluchtsgelübde zu nehmen. Es war eigentlich verboten, denn ich behauptete für mich das Recht, ein Ziel anzustreben, das mich aus all diesen Konditionierungen herausführen würde. Glauben konnte ich das damals noch nicht. Aber die Sehnsucht nach Befreiung war da. Als lebendige Verkörperung dieser Möglichkeit stand meine Lehrerin Vajramala vor mir, die das Ritual leitete. Ich setzte damals ein Zeichen, warf einen Anker, um mir nicht mehr verloren zu gehen.

Die Entstehung des Zufluchtsrituals

Die psychologische Situation der Menschen zu Buddhas Zeiten war nicht so verschieden von der unsrigen heute. Das Zufluchtsgelübde ist aus der Sehnsucht der damals Suchenden entstanden, dem Buddha zu folgen. Es gab ja viele Lehrer in der damaligen Zeit. Aber in dem Menschen Siddharta Gautama erlebten und erkannten sie einen vollständig Befreiten und Erwachten. Wie wir aus den Schriften wissen, überzeugte er durch seine ganzheitliche Ausstrahlung, seine Worte und Redeweise und durch seine Weisheit. Er erkannte, was jeder brauchte, der zu ihm kam und entsprechend lehrte er.

Der Buddha sammelte keine Schüler, gründete keine Kirche, wollte niemanden missionieren, wollte auch die äussere gesellschaftliche Ordnung nicht umwälzen, wollte keine Macht, wollte keinen Ruhm und kein Geld. Sein Wirken war völlig frei von egoistischen Bestrebungen, gerade deswegen war es so Vertrauen erweckend. Nicht er hat die Zuflucht erfunden und Gelübde verlangt, sondern die, die ihm folgen wollten.

Das Zufluchtsritual entstand spontan. In den Sutren wird berichtet: wenn eine Begegnung gelungen war, der Erwachte sein Gegenüber erreicht hatte und die Belehrten erkannten, das ist es doch eigentlich, wonach ich die ganze Zeit gesucht habe, fragten sie ihn, wie kann ich damit in Kontakt bleiben, wie kann ich dein Schüler werden.
Der Buddha antwortete darauf: Ganz einfach, in dem du jetzt dreimal die Zufluchtsformel sprichst:

Ich nehme Zuflucht zum Buddha
Ich nehme Zuflucht zum Dharma
Ich nehme Zuflucht zum Sangha.

Das war vielleicht irgendwo auf dem freien Feld, ohne Zeugen und ohne Weihrauch, Blumen und Kerzen. Bis heute ist das Zufluchtsgelübde in dieser Einfachheit erhalten
geblieben. Wir können das kaum glauben. Immer wieder werde ich gefragt, ob das auch wirklich nichts Äusserliches bedeutet. Nein, es ist aus der Sehnsucht der Schüler entstanden, sich an den Buddha, der für sie das erwachte Sein verkörperte, zu binden.

Flucht oder Zuflucht

Später, als der Sangha grösser wurde und Ansehen erlangte, kamen auch noch andere Motive ins Spiel: Flucht vor der Familie, vor Pflichten, vor Strafe, vor Armut, vor Bedeutungslosigkeit, vor Krankheit. Im Sangha gab es kostenlose medizinische Betreuung und die Mönche waren sogar vor der Macht des Königs sicher. Das schadete der buddhistischen Befreiungsbewegung. Deswegen wurde der Buddha von Mitgliedern des Sanghas gebeten, Regeln zu erlassen. Er legte fest, dass junge Menschen die Erlaubnis ihrer Eltern einholen mussten, und dass Kranke und Straftäter nicht zugelassen waren. Zuflucht darf keine Flucht sein, denn dann hilft sie nicht zur Befreiung, sondern führt zur Fortsetzung des Leidens.

Ja zum Wunsch nach Befreiung

Die echte Zuflucht speist sich aus der Sehnsucht, ein freier und glücklicher Mensch zu werden. Das ist ein Funke, den wir alle in uns tragen, das ist der Buddha, die Möglichkeit des Erwachens in uns. Durch die Begegnung mit der buddhistischen Lehre wird dieser Funke zum Feuer entfacht, das ist der Dharma. Durch Menschen, die uns das vorleben, entwickeln wir Zuversicht dass das Ziel erreichbar ist, das ist der Sangha. Wir nehmen also letztendlich Zuflucht zu uns selber, indem wir Ja zu dieser Sehnsucht sagen und ihr folgen.

Als ich Lama Govinda durch seine Bücher kennenlernte, da erlebte ich dieses Ja. Als ich den Menschen im Himalaja begegnete, erlebte ich es wieder, dieses Ja. Eine buddhistische Kultur, in der Menschen freier und glücklicher leben als bei uns, ist möglich; und als ich Vajramala, die Dharmaerbin von Lama Govinda gefunden hatte, wurde es zur Gewissheit: Das ist es doch, was ich immer schon wollte. Ich will heim zu meinem wahren innersten Wesen, zu meinem befreiten Sein.

Verbote und Verführungen

Wenn wir nun das Zufluchtsgelübde erwägen und unsere ambivalenten Gefühle dazu betrachten, taucht unweigerlich die Frage auf: Darf ich das denn überhaupt? Durfte ich das je, mein befreites Sein wollen und mich so ernst und wichtig nehmen, dass ich es mit allen Mitteln anstrebe? Was sagt es dazu von Innen? Hier eine Auswahl von möglichen Kommentaren: Das ist verantwortungsloser Egoismus. Das gibt es gar nicht. Du musst Pflichten erfüllen, Du musst für mich/ die Familie/ die Kinder/ die Anderen.... da sein. Du musst ein gottgefälliges Leben voller Mühe und Arbeit führen, Befreiung und Glückseligkeit sind erst nach dem Tod zu erwarten. Diese Stimmen aus dem konventionellen Bewusstsein nennt man im Buddhismus „Mara“. Es sind Hindernisse, die dem Befreiungsprozess entgegenwirken. Als der Buddha seine Erleuchtung erlebte, traten auch Hindernisse auf. Es waren Gedanken, die ihm anboten, mit seiner All- Wissenheit nun die Welt zu beherrschen oder sich zurückzulehnen und sein Glück alleine zu geniessen.

Alle Heiligen, das heisst heil/ganz gewordenen werden auf diese Weise geprüft, das überliefern auch die abendländischen Legenden. Haben sie wirklich die Selbstentzweiung durch dualistisches Bewusstsein überwunden? Für unseren eigenen Prozess ist bedeutsam, dass der Buddha genau wie wir ein richtiger Mensch war, der mit Hindernissen zu kämpfen hatte. Er überlegt, ob es nicht zu mühsam sei, seine Weisheit mit anderen zu teilen? Da treten auf: Mara, der Herr der Finsternis, der die Freuden der Macht und des Selbstgenusses anbietet; und Saccha, der Herr des Himmels, der Götterkönig, der den Erwachten bittet, sich nicht von der Welt zurückzuziehen, sondern seine Mitwesen zu befreien. Es spielt das ewig menschliche Drama: Der Mensch Gautama Sakyamuni muss sich entscheiden, was er mit der erreichten Freiheit anfangen will. Hätte er seine Erleuchtung alleine geniessen wollen, wäre er für die Welt unschädlich geworden und wir hätten nie von dieser Befreiungslehre gehört. Wie viele beinahe Erleuchtete sind wohl so von der Weltbühne verschwunden?

Diese Geschichte ist auch für unseren eigenen Befreiungsweg bedeutsam. Wir stehen zwar nicht kurz vor der vollständigen Befreiung und Erleuchtung, erleben aber doch manchmal, besonders im Retreat einen Zipfel davon. Dann müssen wir jedesmal entscheiden, was fange ich mit dieser Erfahrung an. Geniesse ich mein befreites Sein, solange es anhält und falle dann zurück ins Leiden - oder gibt es dazu eine Alternative?

Das Bodhisattvagelübde

Es gibt diese Alternative in Form des Bodhisattvagelübdes. Es beinhaltet das Versprechen, nicht eher aufzugeben, nicht eher zu ruhen als bis vollständige Befreiung für sich selbst und für alle anderen erreicht ist. Das Bodhisattvagelübde schützt vor der egoistischen Fixierung auf die eigene Erleuchtung, es gibt unserer Übung Sinn und Ausrichtung zum Wohle des Ganzen. Es hält uns in der Bezogenheit, bewahrt uns vor dem Tod der Lebensverneinung und vor dem Gift der Isolierung. Lama Govinda hat es so ausgedrückt: Freiheit an sich ist sinnlos, wenn wir nicht wissen wofür wir frei sind. Der Bodhisattvaweg ist die natürliche Konsequenz eines undualistischen Freiheitsempfindens.

Bindung an die Treue zu sich selbst

Können wir jetzt verstehen, warum es überhaupt Gelübde braucht und welchen Sinn sie haben? Sie sind ein Versprechen, das wir uns in einem klaren Moment selbst geben. Sie sind starke Mittel, die uns auf dem Befreiungsweg halten oder zurückführen, wenn wir uns wieder verdunkeln. Gelübde wirken tatsächlich. Jeder, der versucht hat eine Ehe aufzulösen, weiss das. Im Unterschied zum Eheversprechen, binden wir uns mit buddhistischen Gelübden nicht an etwas Vergängliches, einen anderen Menschen, sondern an unsere unvergängliche Wesensnatur. Wir versprechen uns die Treue zu uns selbst:

Die Treue zu meinem wahren befreiten Wesen, das ist die Zuflucht zum Buddha
Die Treue zum Ziel der Befreiung und zum Weg dorthin, das ist die Zuflucht zum Dharma
Die Treue zur Mitmenschlichkeit, das ist die Zuflucht zum Sangha.
Und das solange, bis vollkommenes Erwachen und befreites Sein verwirklicht ist, aus Mitempfinden mit der Welt, zu meinem Wohle und zum Wohle aller anderen Wesen, das ist das Bodhisattvagelübde.

Drei Stadien der Zufluchtnahme

Solange das nur intellektuell verstanden ist, nehme ich die „äussere Zuflucht“. Wenn es zur inneren Notwendigkeit und erlebten Einsicht geworden ist, nehme ich die „innere Zuflucht“. Wenn ich zu meiner wahren Natur erwacht bin, nehme ich die „geheime Zuflucht“. Ich erlebe und erkenne, dass ich in Wahrheit nie von meiner wahren Buddhanatur getrennt war - und das war mir bisher verborgen. Alle Stadien der Zufluchtnahme sind erforderlich, keine kann übersprungen werden.

Permanente Übung

„Zuflucht nehmen“ ist also kein einmaliges Geschehen, sondern ein dynamischer Prozess, eine ständige Übung. Im Zufluchtsgebet heisst es: Bis ich das Wesen der Erleuchtung verwirklichen kann, nehme ich Zuflucht. Konkret bedeutet das, immer wenn ich abgelenkt, zerstreut und aus meiner Mitte herausgefallen bin, merke ich das und wende mich entschlossen der Meditation zu. Ich ergreife jede Gelegenheit, um meinen Geist in Wahrnehmung, Mitempfinden, Ruhe und Einsicht zu schulen und zwar mit allen Mitteln, die mir schon zur Verfügung stehen. Buddha, Dharma und Sangha unterstützen mich. So geschieht ein spiritueller Reifungsprozess, der zu wahrem Glück und vollständiger Befreiung führt.
Vortrag gehalten zum Dharmaworkshop am 23. August 2015

© Ute Volmerg, alle Rechte vorbehalten
Autorin: Sita Vajramati

Autor/Autorin des Textes: 
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