Spiritualität und Arbeit

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SPIRITUALITÄT UND ARBEIT

Vortrag zum Dharmaworkshop am 4. Oktober 2015
von
Sita Vajramati

Vor lauter Arbeit keine Zeit zum Meditieren
Manchmal ist es so, dass vor lauter Arbeit keine Zeit zum Meditieren bleibt.
Wenn ich das höre oder wahrnehme, macht mich das traurig. Nicht, weil zu wenig meditiert wird, sondern weil es offenbar nicht gelingt, die wertvolle Arbeit, die in diesem Sangha geleistet wird, als spirituelle Praxis zu begreifen: Pädagogik, Altenarbeit, Körpertherapie, Heilen, Künstlerisches Gestalten, Gärtnern, Führen, Leiten, Organisieren, Elternarbeit, Grosselternarbeit, Beraten. Diese Arbeiten stehen ohne Zweifel im Dienst der Nächstenliebe und tragen unmittelbar zum Wohl der Gemeinschaft bei. Warum ist es so schwer, sie als spirituelle Praxis zu erleben und zu verstehen? Und sich selbst diesen Wert zu geben?

Geistige Haltungen zur Arbeit
Anstrengung und gute Absichten helfen hier nicht weiter. Worin könnten die Gründe für diese Schwierigkeiten liegen? Wir begegnen der Arbeit nicht unvoreingenommen. Geistige Haltungen, Konzepte, Bilder und Voreinstellungen in bezug auf Arbeit haben uns bereits geprägt. Die Erfahrungen mit Arbeit im Elternhaus, die Normen und Gebote der Eltern, die eigenen Erfahrungen mit Arbeit als Kind und die Wertungen durch Kultur und Gesellschaft - das alles bedingt die Art und Weise, wie wir unsere Arbeit tun und uns selbst dabei erleben.

Eine Auswahl: Man muss hart arbeiten; nur wer arbeitet, darf auch essen; erst die Arbeit, dann das Vergnügen; das Leben ist Mühe und Arbeit, Arbeiten ist streng, Arbeiten ist freudlos, Arbeit ist Pflichterfüllung, ohne Fleiss kein Preis, man muss „Schaffen“ bis zum Umfallen...
Die Folgen solcher Bewusstseinsformungen sind Angst, Stress, Verkrampfung und Hass bei der Arbeit. Wir wollen die Arbeit möglichst schnell hinter uns bringen, um etwas Freudvolleres tun zu dürfen.

Andere Arbeitskulturen
Wenn wir andere Länder besuchen und Kulturen erleben, in denen das nicht so ist, wundern wir uns. Dann können zwei Reaktionen eintreten: Neid, so easy möchte ich es auch mal haben und Abwertung, kein Wunder, dass das Land wirtschaftlich nicht gut dasteht. Die dritte Möglichkeit ist Erschütterung darüber, was wir selbst mit uns machen, und Sehnsucht nach Befreiung vom Zwang zur Arbeit. Wenn wir dann in unsere Arbeitswelt zurückgekehrt sind mit guten Vorsätzen weniger zu arbeiten, merken wir, wie schwer das ist und wie tief unsere Muster verankert sind

Erst die Arbeit dann die Spiritualität oder umgekehrt?
Ganz am Anfang meines Weges las ich in den Schriften einen Satz, der mich alarmiert hat:
Da stand doch tatsächlich: Ziel sei, die Arbeit in den spirituellen Weg zu integrieren. Ich hatte mir das bisher genau andersherum gedacht Ich wollte einen Weg finden, wie ich Spiritualität in meine Arbeit integrieren könnte.

Was bedeutet diese andere Reihenfolge? Sie kehrt die gewohnten Prioritäten um. Was ist der Hauptwert und was ist nachgeordnet? In unserer Kultur ist die Arbeit der Hauptwert, Spiritualität das Beiwerk, Meditieren ist Luxus, wenn dann noch Zeit ist. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, so heisst es. Als Arbeit ist - per definitionem - gesellschaftlich nur das anerkannt, was nicht dem Vergnügen dient.(Ob das nun Fensterputzen oder einen Betrieb Führen ist). Spiritualität und Arbeit sind gegenpolar definiert. Arbeit gehört zum Reich der Notwendigkeit, Meditieren zum Bereich von Musse und Freizeit. Wenn das eine ist, kann das andere nicht sein. Unter dieser Prämisse gibt es keine Chance auf Integration - und was zuerst sein muss, ist vollkommen klar.

Kapitalistischer Geist – protestantische Ethik
Karl Marx nannte das entfremdete Arbeit. Der Soziologe Max Weber erkannte darin die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus. Dieser Geist durchzieht alle Lebensbereiche: die Berufsarbeit aber auch sonstige Tätigkeiten. Er ist wirksam, ob wir nun pensioniert sind oder nicht. Er ist historisch und gesellschaftlich zutiefst in unserer christlich abendländischen Kultur verankert. Wenn wir das ändern wollen, haben wir es mit gewaltigen Widerständen zu tun.

Wie kann uns die buddhistische Lehre und Praxis unterstützen?
Der Weg zum Erwachen beruht auf drei Säulen: Prajna, Dhyana und Sila.
Auf Deutsch: Weisheit, damit ist die Art und Weise gemeint, wie wir auf uns und die Welt schauen. – Die Sicht.
Dhyana – damit ist die Notwendigkeit der Geistesschulung durch Meditation gemeint.
Sila bedeutet, dass wir das, was wir erkennen und meditieren, auch mit unserem Verhalten im Leben umsetzen müssen.

Ausserdem hat uns Buddha den edlen achtfachen Pfad gelehrt
Rechte Ansicht und
Rechte Motivation
Rechte Rede und
Rechtes Handeln
Rechten Lebenserwerb
Rechte Anstrengung
Rechte Konzentration
Rechte Einswerdung

Dualistische Sicht – entfremdete Arbeit
Unser bisheriges Arbeitsverhalten beruht auf einem Konzept, auf dem Konzept entfremdeter Arbeit. Das haben wir gelernt und es ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Das Konzept ist die Sichtweise, sie beinhaltet:

- Arbeit hat ihren Sinn nicht in sich, sondern wird getan, um etwas anderes zu erreichen: ein Ziel, materiellen Lohn, Erfolg, Anerkennung durch andere, Selbstanerkennung, Ablenkung, Beschäftigung.
- Der Lohn der Arbeit besteht darin, dass man sich anschliessend für das verdiente Geld etwas kaufen kann;
- man darf sich freuen, dass die Arbeit getan ist, aber nicht schon während man sie tut;
- während man arbeitet oder tätig ist, sollte man nur bei der Arbeit sein aber nicht bei sich, man gehört seinem Arbeitgeber, der die Arbeitskraft gekauft hat.
- Dieses Prinzip gilt auch, wenn man selbst der Arbeitgeber ist.
- Dann sollte man die Arbeit so schnell und effizient wie möglich erledigen, damit man mit sich zufrieden sein kann und sich belohnen darf.
- Welt- und Menschenbild dahinter sind zutiefst dualistisch und pessimistisch. Das Recht auf Leben muss durch Arbeit verdient werden.
- Zur Strafe für den Sündenfall, muss sich der Mensch „im Schweisse seines Angesichts“ sein Leben lang abrackern, so steht es in der Bibel. Zur Erinnerung: der Sündenfall besteht darin, dass der Mensch sich anmasste, die Früchte vom Baum der Erkenntnis zu essen;
- Auf das ganze Arbeitsleben bezogen heisst das: „Krampfen“ bis zur Pensionierung und dann den verdienten Feierabend geniessen, so weit das gesundheitlich noch möglich ist.

Das ist die Beschreibung der Sichtweise, auf Pali „ditthi“. Die Motivation/Absicht ist eng mit der Sichtweise verknüpft. Ditthi und sankappo bilden zusammen die erste Bedingung erfolgreicher Befreiung.

Motivation
Welche Motivation gehört zu entfremdeter Arbeit?
- die Arbeit hinter sich bringen;
- etwas erledigen;
- arbeiten um sich seinen Wert zu verdienen, um jemand zu sein, Geltung zu haben, Macht zu haben;
- arbeiten um sich etwas leisten zu können;
- arbeiten um Raum und Zeit zu füllen;
- arbeiten um Normen zu erfüllen, um „ in Ordnung“ zu sein;
- arbeiten um sich zu bestrafen, wenn man Normen verletzt hat
- arbeiten um Pflichtverletzungen wieder gut zu machen
- arbeiten um Spannungen abzureagieren
- arbeiten, weil man nicht leben darf

Dualistisches Haften reinigen
Rechte Ansicht und rechte Motivation/Absicht entstehen nicht dadurch, dass man etwas Richtiges lernt, sondern dadurch, dass falsche Ansicht und falsche Motivation gereinigt werden. Was ist an der vorherrschenden Sichtweise falsch?
Das Grundübel liegt im dualistischen Haften, das sich so auswirkt: Ich bin entweder bei mir oder beim anderen, bei mir oder bei der Arbeit, bei der Arbeit oder in der Freizeit, beim Tun oder beim Meditieren. Solange das Subjekt als eine separate Einheit konzipiert ist, als ein Ego, das der Welt unabhängig gegenüber steht, ist die Welt und alles, was sie uns abverlangt, das Andere, das Aussen, das Nicht-Ich, der Gegenpol, das Objekt. Die Arbeit ist getrennt von mir, sie liegt vor mir oder hinter mir, sie muss getan werden. Arbeit ist dem Bereich des Objekts zu geordnet. So kann das Subjekt nie bei der Arbeit sein. Es ist nicht möglich, wie sehr wir uns auch anstrengen und bemühen. Erst nachdem die Arbeit getan ist, kann man wieder bei sich sein. Das dualistische Bewusstsein funktioniert wie ein Schalter. Am Computer kann man das heutzutage am eindrücklichsten erleben. Es vergehen dann Tage, an denen man abends verspannt und gestresst zu sich selbst aufwacht, und noch nicht einmal weiss, was man getan hat. Wer kennt das nicht? Es ist erschütternd und bedeutet tiefes Leiden. Es kann nicht anders sein, denn die grundlegende Unwissenheit, die der Buddha diagnostiziert hat, schafft Leiden in allen Lebensbereichen.

Wenn wir dieses falsche dualistische Bewusstsein von einem separat existierenden Ich aufgeben könnten. Was würde dann mit uns und unserer Arbeit passieren?

Innewohnende Weisheit erkennen
Rückblickend würden wir erkennen, dass eine Spaltung zwischen Spiritualität und Arbeit nie existiert hat. Wir würden erkennen, dass wir von Anfang an durch das Leben spirituell entwickelt worden sind und zwar durch alles was uns begegnet ist, durch unsere Eltern, die Lebensumstände, die Ausbildung und durch die Arbeit. Wir würden erkennen, dass unsere Arbeit immer schon zu unserem spirituellen Entwicklungsweg gehört hat, wir das aber nicht verstanden haben. Wir würden verstehen, wie die Art und Weise unseres Tätigseins unsere Verblendung gespiegelt hat aber auch unser fortschreitendes Erwachen. Wenn wir das Haften an der Idee einer separaten Ichheit loslassen, zeigt sich alles in seiner harmonischen auf Entwicklung und Entfaltung bezogenen Ordnung und Ganzheit, so leidhaft es auch gewesen sein mag. Wir können unseren Weg würdigen, weil wir den Dharma darin erkennen, die innere Weisheit und Gesetzmässigkeit. Das versöhnt und erweckt tiefes Mitgefühl mit sich selbst und mit anderen.

Nach vorne gerichtet wird der Weg frei, Arbeit bewusst als Quelle der spirituellen Praxis und Verwirklichung zu integrieren. Dann hört das Ringen um die Erlaubnis der Frühpensionierung auf und auch die Angst davor, was danach kommt.

Karmayoga
Dann ist Arbeiten Karmayoga, die Übung der Einswerdung mit sich und dem Leben durch Handeln. Eigentlich waren wir schon immer auf diesem Weg nur haben wir es nicht so gesehen. Die entscheidende Veränderung geschieht also durch diese befreite Sicht. Wir müssen kein neues Konzepte erlernen sondern die Schere aus dem Kopf entfernen, die unsere Seinserfahrung in zwei Hälften aus einander schneidet.

Natürlich darf man sich dann fragen: passt der lnhalt und die äusseren Bedingungen meiner Arbeit noch zu dem, was ich heute bin oder sind Veränderungen nötig? Welche Tätigkeit entspricht meinem spirituellen Entwicklungsstand und was ist das passende Bewusstsein dazu? Pflege ich das oder hafte ich an alten Mustern des Tätigseins oder Nichttätigseins?

In der Logik des achtfachen Pfades geht es um: Samma kammanto, rechtes Handeln, und rechten Lebenserwerb, samma ajivo.

Gewohnheiten lassen sich nur durch Training, durch Geistesschulung verändern.
Auch wenn ich das alles weiss, heisst das noch nicht dass ich Subjekt-Objekt-Gleichgewicht am Computer oder beim Einkaufen, oder bei der therapeutischen Arbeit bewahren kann. Das muss trainiert werden mit vollkommenen Bemühen „samma vayamo“.

Ohne Entschluss fängt das Training nicht an. Es beginnt das mühsame, sorgfältige, entschiedene Einüben angemessener Geisteshaltungen und Verhaltensweisen bei der Arbeit: Samma sati, samma samadhi, rechte Konzentration und rechte Einswerdung.
Es gibt viele Gelegenheiten bei der Arbeit Konzentration zu üben. - Und wie geht rechte Einswerdung mit der Arbeit?

Das Bodhisattvaideal
Im Bodhisattvaideal des Mahayanabuddhismus finden wir dazu ein wunderbares Leitbild. Bodhi bedeutet Erwachen und sattva bedeutet Wesen. Ein Wesen, das zu seinem eigenen Wohl und zum Wohl aller anderen auf dem Weg des Erwachens ist.
Es beinhaltet: was auch immer ich tue, ich tue es nicht nur für mich sondern gleichzeitig auch für die anderen. Das ist keine moralische Forderung sondern eine Tatsache. Die erleuchtete Sichtweise, die dahinter steht ist, dass alles verbunden ist und es gar nicht geht, nur etwas für sich zu tun. Im Guten und im Schlechten beeinflussen wir immer auch unsere Mitwelt und unsere Mitwesen. Dies gilt es zum Ausgangspunkt zu machen und es uns bei der Arbeit ins Bewusstsein zu holen. Wenn ich an meiner Befreiung arbeite, tue ich es auch gleichzeitig für die anderen. Inwiefern und auf welche Weise das geschieht , ist dann die nächste Frage. So übernehmen wir Verantwortung und ordnen uns in den grossen Prozess der spirituellen Entwicklung des Menschseins ein. Wir alle haben unterschiedliche Fähigkeiten und genau diese können wir geben, in genau den Bedingungen, in denen wir leben. Sie werden überall gebraucht in der Familie, in der Arbeitswelt, im privaten Rahmen, weil die Bindung ans Leiden und die Sehnsucht nach Befreiung allgegenwärtig sind.
Es geht nicht darum, dass alle Buddhismus lehren. Bodhisattvas lehren durch ihr Sein und durch ihr Tun.

Das Leben strebt von sich aus nach Entfaltung und Erfüllung, das sehen wir an den Kindern und in der Natur. Wenn wir uns mit diesen Werten identifizieren können, haben wir immer Rückenwind für unser Tun. Wir werden eins mit dem Leben und mit uns. Von daher bekommt alles Tätigsein, alle Arbeit einen neuen befreienden Sinn. Wir werden uns getragen fühlen. So geschieht die Integration der Arbeit in den spirituellen Weg.

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